Mittwoch, 15. Oktober 2014

"Wer hat Angst vor Virginia Woolf" - Eine Theaterkritik - Gruppe 17

„Wir kratzen alle an Etiketten.“

Muntere Theatersoiree an der Effingerstrasse dank einem über weite Strecken überzeugenden Ensemble.



Am Dienstagabend zeigte das Theater an der Effingerstrasse eine weitere abendfüllende Aufführung von Edward Albee’s Klassiker Wer hat Angst vor Virginia Woolf , nicht in englischer Originalsprache, sondern in einer gekürzten deutschen Version.
Der österreichische Regisseur Alexander Kratzer giesst den Stoff des zeitlosen Beziehungs- und Gesellschaftsdramas in einer leicht abgeänderten Fassung neu auf, wobei er sich auch die Freiheit nimmt, als Gegenpol zur gewohnten Ausstattung nach dem Vorbild der 60er-Jahre, sich beispielsweise bei den wenigen musikalischen Elementen in der Gegenwartskultur zu bedienen.
So brechen raumfüllend pochende, progressiv anmutende Rhythmen zu Beginn die Stille im Zuschauerraum und drängen den Abend unwiderruflich ins promillebeladene Getöse der rauen Ehe von George und Martha. Ein gelungenes gestalterisches Wagnis, das sich aber rächt, wenn der Regisseur die Akteure in einer Tanzsequenz zu ziemlich seichtem Elektro-Pop die Hüften wackeln lässt; eine der wenigen stilistischen Entgleisungen der ansonsten starken Inszenierung, die von der Qualität seiner Protagonisten lebt.
Der aufreibende Ehekrieg zwischen Martha und George, dem sich die erst nur zuschauenden Gäste Nick und Süsse (Eine äusserst unglückliche Adaption von „Honey“ ins Deutsche) im Verlaufe der Handlung zunehmend immer weniger entziehen können, entwickelt sich prächtig auf der schmucken Bühne vor nahezu vollbesetzten Rängen an der Effingerstrasse. Das Mobiliar der Szenerie; einzig bestehend aus einem Wohnzimmer, ist eigentlich im schlichten Stile der 60er-Jahre gehalten und passt gut zu den beiden Gastgebern. Keine prunkvollen, aber doch nicht allzu schäbige Möbel. Bemerkenswert am Bühnenbild sind die absurd vielen leeren Glasflaschen, die grosse Teile der Kulisse wie eine ruhende Lawine von Kristallen überschwemmen, aber gleichzeitig an den Zustand einer veritablen Messie-Wohnung erinnern. Allein die schiere Anzahl, in jedem Winkel um das Zimmer wie eine gläserne Trennwand verteilt, wirkt derart skurril dass es zum aufgeführten Stück passt. Als wäre dieser Anblick kein Zeichen des ausufernden Alkoholismus genug, wird dies noch wunderbar unterstrichen, als Martha aus mehreren Flaschen den letzten Rest der benebelnden Flüssigkeit zusammengiesst. Der Konsum von hochprozentigen Destillaten bildet in gewisser Weise den roten Faden der Handlung, denn mit der Menge an Alkohol fällt, ähnlich wie im Alltag, Maske um Maske der handelnden Charaktere. Eine weitere Besonderheit ist das Arrangement der Beleuchtung: Die Anzahl und Variation der Deckenlampen wirkt bestenfalls chaotisch.
Die kleinen, vermeintlich inadäquat inszenierten Details tragen im Endeffekt-ob bewusst oder unbewusst-zur unzweifelhaften Aufnahme des Spektakels als abstruses Schauspiel dazu.
Obwohl manch einer die Szenerie übertrieben dargestellt finden mag, trägt sie formidabel zur Skurrilität des Dargebotenen zu; ein nicht unwesentlicher Aspekt, von dem dieses Drama im Speziellen zu einem guten Teil lebt.
Zur Handlung und den Handelnden: George, seines Zeichens Geschichtsprofessor, gespielt vom herrlich nuancierten Gilles Tschudi, liefert sich von der ersten Minute an ein unerbittliches Gefecht der Attitüden und Worte mit dem starken Charakter von Martha und später mit den ambivalenten Gästen Nick und Süsse.
George vermag sich nicht durchzusetzen und gerät immer wieder in unangenehme Situationen, heraufbeschworen von Martha und den Besuchern. Gegen Schluss des Stückes wird er immer dezidierter und schlussendlich ist er derjenige, welcher das Zügel in den Händen hält und seine Antipoden vorführt, bis am Ende die Scheinfassaden der Personen und Ehen gänzlich hinuntergerissen sind. In der Theateraufführung erhält George eine dominantere Rolle als in der literarischen Vorlage. Gilles Tschudi gelingt es vorzüglich, die verschiedenen Facetten dieses Charakters zu zeigen und überzeugt in seinem Ausdruck von Humor, Wut und der Schelmenhaftigkeit mit der er im etwas langfädigen Schlussteil des Stückes das Ruder an sich reisst. Von allen Schauspielern interpretiert er seine Figur eindeutig am eindrucksvollsten.
Martha (Wiltrud Schreiner) ist die Frau von George und Sie ist eine sehr energische Frau, welche am Anfang sehr herrisch auftritt und das Geschehen bestimmt. Sie entflammt oft die Ausbrüche von George, indem sie peinliche und unangenehme Details aus George’s Leben zutage bringt. Ausserdem wiegelt sie ihren Gatten und Nick gegeneinander auf und versucht gleichzeitig mit ihrer fülligen, reifen Erotik, Nick gefügig, und George eifersüchtig zu machen. Als Martha ist Wiltrud Schreiner fast durchgehend überzeugend. Sie gestaltet sowohl die süffisante Angriffslustigkeit und die frustrierende seelische Verletzung ihrer selbst in souveräner Manier. Das dralle, die Reize übertrieben betonende Kleid, das Martha über weite Strecken des Abends mehr oder weniger „trägt“ unterstreicht die hilflose Sehnsucht nach der Jugend und den (mittlerweile) verpassten Chancen. Ein Charakterzug, der Martha sichtbar innewohnt.
Nick (Felix Krauss) ist das Ideal, an welchem Martha immer die Schwächen von George aufzeigt. Er, Biologieprofessor, klug und körperlich gut in Form, ist anfangs gegenüber dem älteren Paar reserviert, aber bald äusserst gesprächsfreudig. Seine aufgesetzte Souveränität entgleitet dem Parvenü und bald er muss schmerzlich feststellen, dass er gegenüber Martha und George nicht Herr der Lage ist. Schliesslich gibt es noch Süsse (Charlotte Krampl),die Ehefrau von Nick. Ihre reizend naive Zurückhaltung entwickelt sich zu mitunter überbordender, fast unerträglicher Kindlichkeit. In diesen raren Momenten divergiert die Besetzung von der zierlicheren und zurückhaltenden Honey von Albee. Die Geschehnisse scheinen oft an ihr, als passive Figur, vorbeizurasen. Interessanterweise hat sie jedoch „die Hosen an“, sobald sie in Interaktion mit Nick tritt, der ihrer Emotionalität kaum etwas entgegensetzen kann.
Was am Ende bleibt, ist ein grosser und schwerer Trümmerhaufen der Existenzen, die nach minutiöser Sezierung der Tatsachen erlöst einem neuen Tag und somit einem Neuanfang entgegengehen; vielmehr als zerbrochenes Glas von Flaschen, deren Etiketten abgekratzt ist, bleibt also nicht übrig. Aber daraus lässt sich ja etwas machen. Auch ausserhalb der geschlossenen Welt des Theaters.


Wer hat Angst vor Virginia Woolf im Theater an der Effingerstrasse ist noch bis zum 24. Oktober im Programm (Allabendlich ausser Sonntags).

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